Mobilitätsbildung neu denken: Kinder und Jugendliche auf dem Weg zu sicherer, verantwortungsvoller und nachhaltiger Mobilität

Ein Konsortium aus Forschung und Praxis entwickelt innovative Lernmaterialien, die Schüler*innen zwischen 11 und 14 Jahren kultursensibel, kreativ und alltagsnah für Mobilitätsthemen begeistern sollen.

Erinnerst du dich noch daran, wie es war, das erste Mal allein Fahrrad zu fahren oder gemeinsam mit Freund*innen mit dem Bus zur Schule zu fahren? Als Kind, das in einem ruhigen Vorstadtort aufgewachsen ist, kann ich mich für meinen Teil gut an diese Eindrücke erinnern, weil sie mir damals das Gefühl von Selbstständigkeit gaben und ich ein Stück Freiheit mit Gleichaltrigen erleben durfte. Auch wenn wir uns vielleicht nicht an alle Details erinnern können, so sammeln wir im Laufe unserer Kindheit verschiedene Erfahrungen und Eindrücke im Zusammenhang mit Mobilität.

Eva Meissner, Autorin dieses Artikels, als Kind auf ihrem Fahrrad.

Wie Deutschland und Österreich Kindern Mobilität beibringen

In Deutschland und Österreich durchlaufen Kinder und Jugendliche während ihrer Schullaufbahn meist ähnliche Stationen: So lernen sie zu Schulbeginn, wie man eine Kreuzung sicher überquert, beschäftigen sich im Rahmen der Fahrradprüfung in der vierten Klasse mit Verkehrsregeln und -verhalten und dürfen ab dem 15. Lebensjahr den Moped-Führerschein erwerben.

Zwischen der Fahrradprüfung und dem ersten Berührungspunkt zu motorisierten Kleinfahrzeugen liegen also glatt fünf Jahre, in denen sich Kinder und Jugendliche in der Schule wenig mit dem Thema Mobilität auseinandersetzen. Hinzu kommt, dass die Nutzung von E-Scootern, die ab dem 14. Lebensjahr erlaubt sind, immer gängiger wird und damit neues Konfliktpotenzial im Straßenraum besteht.

Wie kann es uns also gelingen, Kinder und Jugendliche frühzeitig für ein sicheres, verantwortungsbewusstes und auch nachhaltiges Mobilitätsverhalten zu sensibilisieren?

Im Auftrag der Bundesanstalt für Straßen- und Verkehrswesen hat es sich Mobycon gemeinsam mit der Universität Kassel und dem Education Innovation Lab Berlin zur Aufgabe gemacht genau das herauszufinden. Unser Konsortium will Lücken in der Mobilitätsbildung aufdecken und ein neues, innovatives Lernmodul entwickeln. Die Lernmaterialien sollen einerseits das Lehrpersonal darin unterstützen den Unterricht ansprechend zu gestalten und andererseits Schüler*innen die Möglichkeit geben, sich mit dem Thema kritisch, konstruktiv und kreativ – letztlich sollte Mobilität ja auch Spaß machen – auseinanderzusetzen.

Gruppe niederländischer Schulkinder auf dem Weg zur Schule in Eindhoven (Foto: DCE).

Ein frischer Ansatz für die Mobilitätsbildung

Welche Mobilitätsthemen beschäftigen Kinder im Alter von 11 bis 14 Jahren? Durch Expert*innen-Interviews mit Lehrkräften konnte das Projektteam verschiedene Schwerpunkte identifizieren, die mit dem Hintergrund eines kultursensiblen Ansatzes zu ersten Lernmaterialen weiterentwickelt wurden. Angela van der Kloof, Strategische Beraterin bei Mobycon mit Spezialisierung auf Forschung und Projekte in den Bereichen Radverkehrspolitik und -kultur, Mobilitätsbildung, Mobilitätsgerechtigkeit sowie Wissensaustausch, lobt den kultursensiblen Ansatz und die Betrachtungsweise, dass Mobilität von Kind zu Kind – je nach Herkunft, Alter und Geschlecht – unterschiedlich sein kann.

Diesen Ansatz habe ich im Zusammenhang mit Mobilitätsbildung in Schulen in den Niederlanden noch nicht so gesehen.

Den Schülern zuhören, um die Zukunft zu gestalten

Die methodischen Zugänge wurden vor Beginn der Sommerferien in zwei Schulen im Rahmen von Fokusgruppen erprobt, und ich konnte selbst erleben, welche Inhalte und Formate die beispielhafte Klasse aktiviert und zum Nachdenken anregen konnte. Das Engagement der teilnehmenden Schüler*innen konnte ihr zugrundliegendes Wissen und ihre Bedürfnisse besser abbilden und die Ergebnisse der Fokusgruppen fließen nun in die Weiterentwicklung des Lernmaterials ein.

So wie die ersten Schritte zur Selbstständigkeit – ob auf dem Fahrrad oder im Schulbus – prägende Momente in der Kindheit sind, brauchen Kinder und Jugendliche auch in späteren Entwicklungsphasen Impulse, um sich sicher, selbstbewusst und reflektiert im Verkehr zu bewegen. Angela van der Kloof ist in einer ländlichen Gegend im Süden der Niederlande aufgewachsen und kann sich an die Radwege in ihrer Kindheit erinnern:

“Dort wo heute eine mehrspurige Straße steht, gab es in den 1970er Jahren nur einen sandigen Weg. Ich wurde kürzlich gefragt, ob die Straßeninfrastruktur in den Niederlanden heute sicherer ist als damals und diese Frage lässt sich gar nicht so einfach beantworten. Einerseits gibt es heute mehr Infrastruktur für Radfahrende, aber gleichzeitig ist die Anzahl und Größe von Autos und Straßen gestiegen. Ich bin mir nicht sicher, wie ich meinen Kindern das Radfahren heute näherbringen würde im Vergleich zur Zeit vor 25 Jahren.”

Angela van der Kloof als Kind auf ihrem Fahrrad

Angelas und meine Eindrücke zeigen, dass es damals wie heute Herausforderungen gibt, die fernab des Einflussbereichs von Lehrpersonal liegen. Schüler*innen Mobilitätsbildung näherzubringen wird aber nur gelingen, wenn die Inhalte die Lebenswelten junger Leute treffen.

Über das Projekt:

“Verkehre der Welt” (“Mobilities of the World”) is the title of a project we are currently working on in collaboration with the University of Kassel (lead institution) and the Education Innovation Lab, commissioned by the Federal Highway Research Institute (BASt). The aim is to develop a scientifically grounded learning module for teachers that offers a culturally sensitive, everyday-relevant, participatory, and future-oriented approach.

Über die Autorin:

Eva Meissner is currently completing her internship at Mobycon, working from our Delft office on projects focused on the DACH region. She holds a Bachelor of Science in Spatial Planning and wrote her Master’s thesis on “The Viennese Bicibus Movement and its impact on primary school children’s health-promoting mobility behaviour.”

Wenn Sie mehr über ihre Arbeit erfahren möchten, können Sie sich gerne direkt an Eva, Angela oder ein anderes Mitglied unseres Teams wenden.

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