Mobilitätsexkursion nach Berlin (Teil 1): "Ein strukturelles Problem"

Berlin, das pulsierende Herz einer autozentrierten Nation, ist auch führend bei der Umstellung Deutschlands auf nachhaltigere Verkehrsmittel („Verkehrswende“). Die Stadt ist eine Art open-air Labor, das einige unserer Kolleg*innen von Mobycon Anfang Oktober besuchen durften.

Das Fahrrad ist in Berlin ein leistungsfähiges Verkehrsmittel, um wesentliche innerstädtische Strecken zurückzulegen. Es ist jedoch leicht zu erkennen, in welchem Ausmaß das Radfahren in Berlin derzeit durch ein heterogenes Radverkehrsnetz eingeschränkt wird, das zerstückelt, schwer zu entziffern, unbequem, unsicher oder einfach nicht vorhanden ist – ganz zu schweigen von der manchmal mangelhaften Infrastruktur. Radfahrer*innen, die sich vollständig auf die Bewältigung dieser Herausforderungen konzentrieren müssen, erleben erhöhten Stress, insbesondere wenn Fahrzeuge mit hoher Geschwindigkeit an ihnen vorbeifahren, was das Gefühl vom „Flow“ beeinträchtigt.

Es gibt viele Menschen, die potenzielle Radfahrer*innen sind, sich aber nicht trauen, solange es keine guten und sicheren Bedingungen zum Radfahren gibt,„, sagt Melissa Gómez, Leiterin der Abteilung Verkehrspolitik beim Allgemeinen Deutschen Fahrrad Club (ADFC) – der deutsche Interessenverband für den Radverkehr. Neben den Infrastrukturproblemen verlangsamen auch institutionelle Hindernisse die deutsche „Velorution“, darunter Finanzierung, Know-how und Gesetzgebung.

Der Mangel an langfristigen Finanzierungsmitteln ist ein Hindernis für die Entwicklung öffentlicher Maßnahmen. Der Deutsche Radverkehrsplan 2021-2030 („Nationaler Radverkehrsplan 3.0„) zielt darauf ab, die nationalen Mittel von 11 € auf 30 € pro Person / Jahr zu erhöhen. Der ADFC hält die Bundesmittel jedoch für zu ungenau und unzureichend im Vergleich zu den vielfältigen Einsparpotenzialen, die mit dem Radverkehr verbunden sind. Die Umkehrung des finanziellen Ungleichgewichts scheint eine echte Herausforderung zu sein, wenn wir wissen, dass „die deutsche Automobilindustrie weltweit der wichtigste Motor für Forschung und Entwicklung im Automobilsektor ist„. „Die deutsche Mobilitätspolitik ist eine Industriepolitik“, erklärt Melissa Gómez die Bedeutung der Automobilindustrie für die deutsche Wirtschaft und damit auch ihren Einfluss auf die Mobilitätspolitik.

Die zweite Säule einer erfolgreichen „Velorution“ betrifft das Fachwissen, das erforderlich ist, um den öffentlichen Raum neu zu denken. Nach jahrzehntelanger autoorientierter Verkehrsplanung muss Deutschland das Know-how entwickeln, öffentliche Räume so zu gestalten, dass die aktive Mobilität gefördert wird. Trotz eines Radverkehrsanteils von 11 % im Jahr 2017 verfügt das Land nicht über eine ausreichende Infrastruktur, um einen flächendeckenden Radverkehr zu gewährleisten. Mobycon hat es sich zur Aufgabe gemacht, Wissen, Methoden und Werkzeuge im Zusammenhang mit der niederländischen Radverkehrsplanung zu entwickeln und die Schlüssel zu finden, um sie an andere Länder mit anderen soziokulturellen Kontexten anzupassen. Diese Exkursion war daher eine gute Gelegenheit, den deutschen Kontext und die aktuellen Herausforderungen zu erkunden.

Auf einer Transitachse gibt es wenig oder keine physische Trennung zwischen Fahrrädern und Autos.

Schließlich ist die deutsche Gesetzgebung für die Straße auf das Auto ausgerichtet. Die Grundbedürfnisse anderer Verkehrsteilnehmenden werden nicht als gleichwertig anerkannt. Der Bau von Radwegen hängt zum Beispiel oft vom Nachweis einer tatsächlichen Gefahr für den Radverkehr ab. Außerdem ist es schwierig, ohne stichhaltige wissenschaftliche Beweise von Gestaltungsstandards abzuweichen, was Innovationen behindert, insbesondere bei subjektiven Aspekten wie dem Sicherheitsempfinden und der Attraktivität von Radwegen.

Trotz dieser Hindernisse gibt es auch einige positive Aspekte. Die Wartezeiten an Ampeln für Radfahrer*innen in Berlin sind angemessen und entsprechen denen von Autos. Außerdem sind die Bedingungen für Fußgänger*innen in Deutschland im Vergleich zu den Niederlanden hervorragend, da die Stadtplanung gut durchdacht ist und die Fußgängerinfrastruktur bei der Stadtplanung konsequent berücksichtigt wird, manchmal sogar auf Kosten der Fahrradinfrastruktur.

Effizienz und Komfort sind der Schlüssel zur Förderung von Alternativen zum privaten Pkw. Das derzeitige (Un-) Gleichgewicht des öffentlichen Raums in Berlin muss jedoch neu überdacht werden, um eine nachhaltigere Mobilität zu fördern. Der zweite Teil dieses Artikels wird einige Möglichkeiten zur Bewältigung dieser Herausforderung aufzeigen.

Dies ist Teil 1 von 2 in der Serie Jong Mobycon besucht Berlin. Bleiben Sie dran für Teil 2 diesen Donnerstag, 26. Oktober 2023 .

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Anna Tailliez

Beraterin für Mobilität

„Die Unterstützung des dekarbonisierten Wandels in der Mobilität, zum Beispiel durch die Gestaltung von an Menschen orientierten Fuß- und Radverkehrsinfrastrukturen, klingt für mich nach einer sehr greifbaren und motivierenden Aufgabe!“

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